Viele Erkrankungen entstehen dadurch, dass eine Veränderung an der Erbinformation (Mutationen, Chromosomenaberrationen), also den Genen stattgefunden hat. Solche Krankheiten können von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Gendiagnostische Maßnahmen dienen dazu genetische Prädispositionen für bestimmte Erkrankungen zu erkennen. Dies ist zum einen wichtig, damit ggf. geeignete Präventionsmaßnahmen in die Wege geleitet werden können, um den Ausbruch der Erkrankung möglicherweise zu verhindern. Zum anderen aber auch, um durch anschließende regelmäßige Screeningmaßnahmen einen Ausbruch der Erkrankung frühzeitig erkennen zu können.
Auch in Hinblick auf eine Schwangerschaft ist die Gendiagnostik von herausragender Bedeutung. Da im Mittel das Alter, in dem Frauen ihre Kinder gebären, angestiegen ist, sind auch die Risiken der Schwangerschaften höher geworden. Daraus ergibt sich natürlicher Weise eine größere Nachfrage nach Beratung beispielsweise bezüglich eventueller erblicher Krankheiten. Dies gilt auch für die Zeit nach der Schwangerschaft. Können Risiken ausgemacht werden, werden oft diagnostische Möglichkeiten zur Abklärung erwogen.
Die Erbinformation ist in bestimmten Strukturen, den Chromosomen enthalten. Menschliche Körperzellen Tragen in ihrem Kern in der Regel 46 Chromosomen, die paarweise vorhanden sind. Erkrankungen können im einfachsten Fall darauf beruhen, dass der normale Chromosomensatz mit 46 Chromosomen im gesamten vervielfacht vorliegt, oder auch nur einzelne Chromosomen mehrfach existieren, also beispielsweise nicht paarweise, sondern als Dreier (Trisomie). Solche Veränderungen an der Zahl werden Aneuploidien genannt. Aber unter anderem kann auch die Struktur der Chromosomen verändert sein. Eine Deletion beispielsweise ist eine Mutation (=Chromosomenaberration), bei der ein Teil eines Chromosoms fehlt.
Brustkrebs ist in Deutschland die häufigste Krebsart bei Frauen. Etwa fünf bis zehn Prozent aller Mammakarzinome (Brustkrebs) und der Karzinome der Ovarien (Eierstöcke) liegt eine genetische Ursache zugrunde. Wenn beispielsweise mehrere Frauen in einer Familie in jungem Alter daran erkranken, kann das darauf hindeuten, dass eine ererbte Anlage dafür besteht. Ursächlich ist vor allem häufig eine Mutation (Chromosomenaberration) in den Genen BRCA 1 und BRCA 2 (BRCA= breastcancer=Brustkrebs), die daher teilweise auch als „Brustkrebsgene" bezeichnet werden. Diese Gene sind normalerweise sogenannte Tumorsuppressorgene, d. h, dass sie eigentlich das Wachstum von Tumoren hemmen sollten. Eine Mutation kann dazu führen, dass sie diese Funktion verlieren.
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau mit einer Mutation in BRCA 1, oder BRCA 2 einen Brustkrebs entwickelt, liegt bei 60 bis 85 Prozent. An einem Ovarialkarzinom wird sie mit bis zu 50%iger Wahrscheinlichkeit bei einer Mutation im BRCA 1-Gen erkranken, bei einer Mutation im BRCA 2-Gen liegt die Wahrscheinlichkeit bei 10 bis 20 Prozent. Das bedeutet also, dass die Mutation der Tumorsuppressorgene nicht zwangsläufig einen Krebs nach sich zieht, das Risiko aber erhöht ist. Die Mutationen der „Brustkrebsgene" werden autosomal-dominant vererbt. Das bedeutet, dass die Weitergabe an die nächste Generation unabhängig vom Geschlecht erfolgt und die Wahrscheinlichkeit für die Weitergabe des mutierten Gens von einem Elternteil an seine Kinder bei 50 Prozent liegt.
Bezüglich des Risikos für Brust- und Ovarialkrebs kann eine Indikation für eine molekulargenetische Untersuchung bestehen, wenn bei der Familie der Patientin von einer sogenannte "Risikofamilie" gesprochen werden kann. Dies ist in folgenden Fällen berechtigt:
Ratsuchende, die unsicher sind, ob in ihrer Familie möglicherweise ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs und Krebs der Ovarien besteht, oder bei denen die eben genannten Bedingungen erfüllt sind, können sich an spezielle Beratungszentren wenden. In diesen Zentren arbeiten Angestellte aus den Fachbereichen der Gynäkologie (Frauenheilkunde), der Genetik und der Psychologie zusammen. Sie können mit den betroffenen Familien über die individuellen Risiken sprechen und die Möglichkeit und den Nutzen der Gendiagnostik erörtern. Werden bei der Genuntersuchung Hinweise darauf gefunden werden, dass eine genetische Anlage für Krebs existiert, werden die Betroffenen dort über Maßnahmen der Verhinderung der Erkrankung (primärpräventive Maßnahmen) und Möglichkeiten der Früherkennung eines Erkrankungsausbruchs (Sekundärprävention) informiert.
Eine Möglichkeit für eine pränatale Gendiagnostik im Sinne einer Risikoabwägung für bestimmte Erkrankungen des ungeborenen Kindes, sind invasive Untersuchungsmethoden, zu denen vor allem die Chorionzottenbiopsie (Entnahme von Mutterkuchen), die Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung) und die Fetalblutpunktion (Chordozentese, Nabelschnurpunktion) gehören.
Die Amniozentese ist ein Verfahren, bei dem Mutationen von Chromosomen, aber beispielsweise auch ein offener Rücken (Spina bifida) erkannt werden kann. Es kann schwangeren Frauen in folgenden Fällen angeraten werden:
Die Chorionzottenbiopsie ist eine Untersuchung, bei der genetisch bedingte Störungen des Stoffwechsels, aber auch Chromosomenmutationen festgestellt werden können. Eine Chorionzottenbiopsie kann dann bei Frauen angeraten sein, wenn
Die Chordozentese dient dazu Stoffwechselstörungen und Krankheiten, die das Blut betreffen zu erkennen. Außerdem kann auch eine Rötelinfektion, oder eine Toxoplasmose diagnostiziert werden. Die Chordozentese kann empfohlen werden, wenn
Die Entscheidung für, oder gegen eine Gendiagnostik ist für viele Patientinnen schwer. Die Entscheidung sollte unter Einbeziehung der Beratung durch entsprechendes Fachpersonal, aber auch durch persönliche Abwägung getroffen werden.
Ist die Entscheidung für eine Gendiagnostik bezüglich des Risikos für Brust-und Ovarialkrebs gefallen, wird meistens zuerst eine sogenannte "Indexpatientin" untersucht. Dabei handelt es sich um eine Person, die schon an einem Brustkrebs, oder Ovarial-Ca (Ca=Karzinom=Krebs) erkrankt ist. Wird bei ihr eine Mutation der "Brustkrebsgene" BRCA 1 oder BRCA 2 entdeckt, so werden auch gesunde Familienangehörige untersucht. Wird bei der "Indexpatientin" jedoch ein negatives Ergebnis gefunden, werden die Familienangehörigen nicht untersucht. In Fällen, in denen keine "Indexpatientin" existent ist, können auch gesunde Personen getestet werden.
Die Untersuchungsschritte an der Patientin selbst sind einfach. Für die Gendiagnostik wird Genmaterial benötigt. Dieses ist in den Kernen unserer Körperzellen enthalten. Für die Untersuchung genügt daher eine Blutprobe von 10 bis 15ml , in der die Blutzellen (Erythozyten, Leukozyten, Thrombozyten) enthalten sind. Das Blut wird der betreffenden Person mittels sterilem Punktionsmaterial aus einer Vene abgenommen und mit einem speziellen Stoff, dem EDTA (Ethylendiamintetraacetat), ungerinnbar gemacht. Das genetische Material wird dann aus ganz bestimmten Leukozyten des Blutes, den Lymphozyten, entnommen. Die Untersuchung der Genprobe erfolgt dann mittels spezieller Analyseverfahren wie die SSCP (single stranded conformation polymorphism), PTT (Protein Truncation Test) und DHPLC (denaturing high perfomance liquid chromatography). Die DHPLC gilt bislang als das genaueste Untersuchungsverfahren.
Die Gene BRCA1 und BRCA2 sind aus ca. 8.500 Bausteinen zusammengesetzt. Das Lesen der darin enthaltenen genetischen Informationen dauert daher recht lange. Dazu kommt noch, dass die entsprechenden Labore aufgrund der Fülle der Anforderungen teils überlastet sind. Bis das Ergebnis feststeht kann es daher Monate dauern, manchmal sogar ein Jahr.
Die Chorionzottenbiopsie ist ein Untersuchungsverfahren, das nach der 11. Schwangerschaftswoche vorgenommen werden kann. Als Untersuchungsmaterial werden Zellen direkt aus der Plazenta, also aus dem Mutterkuchen entnommen. Die Chorionzotten (Zellen des Mutterkuchens) entspringen der befruchteten Eizelle, daher kann man durch ihre Untersuchung auch etwas über den Fetus aussagen. Meist wird die transabdominelle (trans= durch; Abdomen= Bauch) Methode angewandt. Hierbei wird eine spezielle Nadel durch die Bauchdecke der Schwangeren gestochen und bis in die Plazenta vorgeschoben. Dies geschieht jedoch nicht blind, sondern unter Kontrolle mittels eines Ultraschallgeräts. Mit der Nadel kann nun eine Probe des Mutterkuchens genommen werden. Die darin enthaltenen Zellen können anschließend im Labor eingehend untersucht werden. Es werden zwei Kulturen erstellt, eine Kurzzeitkultur und eine Langzeitkultur. Mit Ergebnissen kann bei der ersteren binnen weniger Tage, bei der letzteren innerhalb von wenigen Wochen gerechnet werden.
Eine Punktion der Nabelschnur kann nach Ablauf der 15. Schwangerschaftswoche vorgenommen werden. Hierbei wird wie bei der Chorionzottenbiopsie eine Nadel durch die Bauchdecke der Patientin gestochen. Die Nadel wird bei dieser Untersuchung aber in ein Blutgefäß in der Nabelschnur eingeführt. Daraus kann nun eine Blutprobe gewonnen und die darin enthaltenen Zellen im Labor untersucht werden.
Die Fruchtwasserentnahme ist eine Untersuchung, die in der Regel erst nach Ablauf der 13. Schwangerschaftswoche vorgenommen werden kann. Hierbei werden Hautzellen, Zellen aus dem Magen-Darm-Trakt und Zellen aus dem Amnion (Fruchtwassersack) untersucht. Der Fruchtwassersack umgibt und schützt den Fetus. Das Vorgehen ist folgendes: Wie bei den oben genannten Untersuchungen wird die Bauchdecke der Patientin mit einer dünnen Nadel durchstochen. Die Nadel wird hier in die Fruchtblase eingebracht und anschließend ca. 20 Milliliter Fruchtwasser entnommen. Die Untersuchung ist in der Regel nicht schmerzhaft.
Die Blutentnahme im Rahmen der Gendiagnostik zum Ausschluss einer genetischen Anlage für Brust- und Ovarialkrebs verläuft in der Regel komplikationslos. Es kommt vor, dass den betreffenden Personen währenddessen etwas schwindelig wird, daher sollten sie nach der Behandlung einige Minuten ruhig sitzen bleiben.
Bei der Amniozentese besteht prinzipiell die Gefahr, dass dadurch eine Fehlgeburt verursacht wird. Die Wahrscheinlichkeit ist aber bei etwa einem Prozent sehr gering. Auch bei der Nabelschnurpunktion kann es grundsätzlich zu einer Fehlgeburt kommen. Hier beträgt das Risiko ca. zwei Prozent. Die Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt im Rahmen einer Chorionzottenbiopsie ist mit etwa einem Prozent ebenfalls sehr klein.
Letzte Aktualisierung am 29.03.2021.