Schubladendenken ist negativ besetzt – aber ganz natürlich. Das menschliche Gehirn versucht nämlich ebenso unwillkürlich wie unablässig, Schemata, Strukturen und Zusammenhänge zu finden oder zu schaffen. Darunter fällt auch das Kategorisieren von Menschen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild und ihrer Art, sich zu kleiden.
Doch wieviel verrät die Kleidung über den tatsächlichen Charakter?
Das für die Ordnung zuständige Segment im Gehirn nimmt sämtliche Vorurteile und Assoziationen des Betrachters zu Hilfe und rattert ohne Erbarmen los: Ausschlaggebend für die Einsortierung des Gegenüers sind Bekleidung in Schnitt, Farbe und Stil, teures Label, Discounter-Jeans oder extravagante Stücke, Haartracht, Gesichtsausdruck und Haltung, der Grad der erotischen Ausstrahlung und das Maß der äußerlichen Angepasstheit ans jeweilige Umfeld. So entsteht der berüchtigte, weil meist bleibende erste Eindruck.
Im Bestreben, in eine möglichst positive Schublade einsortiert zu werden, bewegen sich Menschen in Punkto Kleiderwahl stets im Spannungsfeld zwischen Individualität und Anpassung. So definiert sich auch Mode, vereinfacht ausgedrückt: Sie ist der Versuch, eine Balance zu finden zwischen einem Hingucker-Effekt und dem Wunsch nach Anpassung an die Gruppe, mit der man sich gerne identifiziert.
Wer ein Gespür für die Mechanismen dieses Spiels hat, wählt sein Outfit mit sicherem Händchen. Misslingt der Spagat, landet man schnell hoffnungslos over- oder underdressed in einer höchst befremdeten Umgebung. Die Regeln lockern sich: Was früher als „schlampig“ oder zu lässig galt, geht heute eher als seriös und gesellschaftsfähig durch: Edel-Sneakers zum Anzug beispielsweise.
Auch die Farb- und Stilberatung hat sich auf diesem Gebiet eine ökologische Nische geschaffen: Menschen, die sich in Lieblingsfarben kleiden, die ihnen besonders gut stehen, sind eins mit sich selbst, strahlen das auch aus und erwecken ohne Mühe einen sympathischen Eindruck. Dafür lohnt es sich, wohldosiert gegen die eine oder andere Bekleidungs-Konvention zu verstoßen.
Frauen haben es zumindest im Geschäftsleben ein wenig leichter als Männer: Sie dürfen sich beim Outfit zu mehr Formen, Farben, Buntem und auch zur Weiblichkeit zu bekennen. Wer umgekehrt besonders kühl, unnahbar oder angepasst erscheinen oder streng bei der Sache bleiben will, kleidet sich nüchtern in neutrales Schwarz oder Grau und wählt einen möglichst androgynem Schnitt.
Wer sich kleidet, der kommuniziert zwangsläufig und verrät zumindest eine Facette von sich selbst.
Beutelige Skaterhosen, tief in die Stirn gezogene Mützen, ausgelatschte Sneakers und Kapuzenshirts: Eine solche Portion provokant durchs Leben schlurfender Coolness treibt konservative Lehrkräfte und besorgte Eltern auf die Palme. Wer eine Banklehre anstrebt, wird so sicher nicht zum Vorstellungsgespräch gehen. Der angepasste Jüngling im grauen Nadelstreifenanzug mit Krawatte dagegen muss oft erst noch ins toughe, korrekte, wenn auch unkreative Outfit hineinwachsen.
Punks mit Tattoo, Nasenstecker, Springerstiefeln und kahlem Schädel im Lederoutfit wecken eher tiefsitzende Ängste. Der Sommer-Klassiker, Hemd und Shorts und dazu Herrensandalen am weiß bestrumpften Fuß, wird vom heimtückischen inneren Ordnungssinn sofort in die Schublade "angepasst aber unsäglich" befördert.
Die ungeschriebene Kleider-Ordnung drückt sich auch in der Sprache aus. Jemandem, der etwa „hemdsärmelig“ daherkommt, wird gern mangelnde Ernsthaftigkeit und Seriosität bescheinigt, sowie unangebracht kumpelhaftes Auftreten. Dagegen vermittelt das Sakko über Hemd und Jeans zwar Legèreté, dabei aber Distanz und Korrektheit. Die Bekleidungs-Vokabelliste lässt sich beliebig fortsetzen und weist subtile Details auf. Über den wahren Charakter einer Person gibt möglicherweise erst der zweite Blick Aufschluss.
Wer nun Lust bekommen hat, seine Gardrobe wieder aufzustocken, der wird im Internet schnell fündig. Nicht nur bei otto.de und baur.de lohnt sich ein Besuch, sondern auch auf Modeseiten wie sieh-an.de. Aber zu viele Gedanken über die Wirkung der Kleidung ist nicht ratsam. Tragen was einem selbst gefällt, ist wichtiger.
aktualisiert am 30.05.2014